Verlernen von Wissen, Verweigerung gegenüber dem Kanon und affirmative Sabotage von Texten können als Beispiele für Werkzeuge und Konzepte genannt werden, die für eine Transformation von Bildung und Erziehung hilfreich sein können. Gerade in post-und dekolonialen Denkrichtungen werden diese Werkzeuge und Konzepte verwendet, um an den Säulen humanistischer Bildungs-und Erziehungsidealen zu rütteln, welche deutliche Spuren von 600 Jahren Kolonialismus tragen. Denn Theorien und Konzepte, die auch heute noch für einen pädagogischen Kanon unerlässlich scheinen, bauen auf kolonialen Gedanken, Menschenbildern und Konzepten von Gesellschaft auf. Bildung und Erziehung werden demnach häufig aus einer Perspektive gedacht, die europäische, weiße, männliche Subjekte in den Mittelpunkt rückt. Die Betonung und Voraussetzung von Vernunft, Rationalität oder Leistung können als Beispiele dafür gesehen werden, genauso wie die Nichtbeachtung und Abwertung von Emotion, Intuition und Begehren.
In diesem Tutorium soll es daher einmal darum gehen, koloniale Muster in zentralen Konzepten von Bildung und Erziehung zu erkennen und daran anschließend zu diskutieren, wie sie unser Handeln und Bewusstsein prägen. Gerade in den letzten Jahren haben sich in der erziehungswissenschaftlichen Forschung immer mehr Wissenschaftler*innen mit kolonialen Mustern und Kontinuitäten in Bildung und Erziehung auseinandergesetzt. Auf ihren Gedanken und Beiträgen könnte weiter aufgebaut werden.
Darüber hinaus soll im Tutorium Raum sein, andere Ideen von Bildung und Erziehung zu entwickeln, die nicht auf westlichen Idealen gründen. Ansätze und Denkanstöße, auch für den deutschen Kontext, können aus Schwarzen und antikolonialen, feministischen Bewegungen und Kämpfen gewonnen werden. Viele dieser Ideen und Ansätze befassen sich immer auch mit Fragen, die mit Erziehung und Bildung in Verbindung stehen. Häufig wird dabei auch auf vorkolonialen Vorstellungen und Praxen Bezug genommen, die im Zuge der europäischen Kolonisierung vernichtet oder delegitimiert wurden.
Nach meiner bisherigen Vorstellung könnte die Auseinandersetzung im Tutorium also auf Theorien und Ansätzen dekolonialer Gegenbewegungen aufbauen, und gleichzeitig auch für eigene Erfahrungen und Vorstellungen für Veränderungen Platz lassen.
Das erste Treffen habe ich als Vortreffen geplant, indem wir uns auf einen Termin einigen und einen Rahmen in Bezug auf Literatur, Themen, Zusammenarbeit vereinbaren. Falls ihr nicht zum ersten Treffen könnt, aber trotzdem teilnehmen wollt, schreibt mir gerne eine Mail, in der ihr mir mitteilt, wann ihr Zeit habt und falls ihr Wünsche (in Bezug auf Literatur, Themen und Zusammenarbeit) habt.
Beginn: Dienstag, der 25.10.22, um 16 Uhr
Format (online/Präsenz): Präsenz
Raum: Tuca, PEG 1G.208.
Kontakt: Linus Nassabi – s5925450@stud.uni-frankfurt.de
Literatur:
bildungsLab* (2021): Bildung. Ein poskoloniales Manifest. Münster: Unrast Verlag.
bildungsLab* (im Erscheinen): Dekoloniale Interventionen. Müsnter: Unrast Verlag.
Castro Varela, María do Mar (2020): Postkoloniale Pädagogik? In: Tertium Comparationis. Journal für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft Vol. 26, No. 1, pp. 1–8.
hooks, bell (1994): Teaching to transgress. Education as the Practice of Freedom. New York: Routledge.
Lorde, Audre (1983): Vom Nutzen unseres Ärgers. In: Dagmar Schultz (Hg.): Macht und Sinnlichkeit. Ausgewählte Texte von Audre Lord und Adrienne Rich. Berlin: Orlanda Frauenverlag.
Mohamed, Sabine (2020): #MustFall: Überlegungen zur Dekolonialisierung und einer postkolonialen Ästhetik an der Universität. In: Tertium Comparationis. Journal für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft Vol. 26, No. 1, pp. 22-37.
Singer (2019): Confluencing Worlds Skizzen zur Kolonialität von Kindheit, Natur und Forschung im Callejón de Huaylas, Peru. Disseration, Uni Hamburg.